Übung 1347 "Fabel: Der alte Löwe und der Fuchs - [pd]"

 

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Der alte Löwe und der Fuchs


1. Ein Löwe lag alt und schwach in seiner Höhle und war nicht mehr fähig, selbst auf die Jagd zu gehen. Er wäre elend verhungert, doch in seiner Not ließ er in seinem Reich die Botschaft von seinem nahen Tode verbreiten und allen Untertanen befehlen, an den königlichen Hof zu kommen. Er wolle von jedem persönlich Abschied nehmen.

Ein Fuchs hatte eine Zeitlang in der Nähe der Höhle verbracht und das Kommen beobachtet. »Seltsam«, dachte er, »alle Tiere gehen in die Höhle hinein, aber keins kehrt daraus zurück. Des Königs Schloss ist zwar geräumig, so groß ist es nun aber auch nicht, dass alle Untertanen darin Platz haben. Eigentlich müsste es schon lange überfüllt sein.«

»Ha, Rotpelz, du kommst sehr spät«, ächzte der Löwe, als läge er wirklich schon in den letzten Zügen, »hättest du noch einen Tag länger gezögert, so wärst du nur noch einem toten König begegnet. Sei mir trotzdem herzlich willkommen und erleichtere mir meine letzten Stunden mit deinen heiteren Geschichten.«

»Seid Ihr denn allein?« erkundigte der Fuchs sich mit gespieltem Erstaunen. Der Löwe antwortete grimmig: »Bisher kamen schon einige meiner Untertanen, aber sie haben mich alle gelangweilt, darum habe ich sie wieder fortgeschickt. Du jedoch, Rotpelz, bist lustig und immer voll pfiffiger Einfälle. Tritt näher, ich befehle es dir!«

Nacheinander trudelten die Tiere vor der Höhle des Löwen ein, und der König der Tiere rief ein jedes zu sich. Mit kleinen Geschenken gingen sie einzeln zu ihm hinein, denn sie erhofften sich alle großen Vorteil davon.

»Edler König«, sprach der Fuchs demütig, »Ihr gebt mir ein schweres Rätsel auf. Unzählige Spuren im Sand führen in Euer Schloss hinein, aber keine einzige wieder heraus, und es gibt nur einen Eingang. Mein Gebieter, Ihr seid mir zu klug. Ich will Euch nicht mit meiner Dummheit beleidigen und lieber wieder fortgehen. Eines aber will ich für Euch tun. Ich werde dieses Rätsel für mich behalten.« Der Fuchs verabschiedete sich und ließ den Löwen allein.

Vorsichtig trat der Fuchs vor den Eingang und rief höflich: »Herr König, ich wünsche Euch ewige Gesundheit und einen guten Abend.«

Quellenangabe: http://gutenberg.spiegel.de/buch/fabeln-9534/35